Auch unsere Schüler haben jetzt eine neue Möglichkeit, unabhängig von der Unterstützung ihren Eltern, ihre Zukunft selbst zu gestalten. Bisher waren vor allem die älteren Schüler (College, Gymnasium) in ihren Bildungs-Angelegenheiten auf ihre Eltern angewiesen. Wenn die Eltern Bildung für sinnvoll erachtet haben, dann war alles in Ordnung. Sie haben ihre Kinder sowohl finanziell unterstützt (Schuldgeld, Schulsachen), als auch sie von der Feldarbeit auf den elterlichen Feldern freigestellt. Die Eltern, (meistens waren sie selber Analphabeten) die das für nicht wichtig erachteten, haben ihre Kinder meist nach einigen Jahren aus der Schule genommen und sie entweder mit 12, 13 Jahren verheiratet (Mädchen) oder sie ab 8 als Rinderhirten „vermietet“ (Jungs). Das ist jetzt keine Böswilligkeit: es ist auf dem Land in Madagaskar normal, dass jedes Kind zum Unterhalt und Überleben der Familie beiträgt (s. Beitrag vom 14.2.16 „Schulkinder in Madagaskar“)
Wir von Hope-Projekte haben immer schon den älteren Schülern angeboten, dass sie in den Ferien bei uns jobben. Entweder in der Landwirtschaft oder auf dem Bau. Dies wurde aber kaum genutzt. Warum? Das hatte mehrere Gründe. Erstens aus Scham – wer dort arbeitet, von dem weiß man, dass er es nötig hat und „arm“ ist. Der zweite Grund, das sind die „Neidischen“. Sie wollen selber nicht für uns arbeiten, gönnen es aber den anderen auch nicht, wenn sie es tun und es ihnen finanziell besser geht. Deswegen „beschwatzen“ sie die Kandidaten so lange, bis diese es sein lassen. Meist sind das enge Verwandte. Man darf den Einfluss der Verwandtschaft in dieser Kultur in Madagaskar nicht unterschätzen. Wenn die Verwandtschaft (besonders wenn es ältere Personen sind) dagegen ist, dann ist es für den Kandidaten fast unmöglich, sein Vorhaben zu verwirklichen. Das genau ist diesen Frauen aus meinem letzten Beitrag auch passiert. Obwohl sie „fast am Verhungern“ waren, haben sie lange gezögert.
Ich kann mich noch erinnern, als ich 2012 mit einem Kurzzeit-Einsatz-Team aus Europa vor Ort war. Wir haben die Fundamente der (damals noch nicht gebauten) erweiterten Krankenstation ausgehoben. Mit Brechstange, Pickel, Schaufel und Schubkarren waren wir unterwegs. Der Boden war hart wie Stein. Wir waren (bis auf 1 Ausnahme) nur Frauen. Keiner von der Dorfbevölkerung wollte uns helfen. 2 Schüler haben nur „zugeschaut“, 2 mal mit dem Spaten gestochert und sind dann wieder gegangen. Aber wir haben weitergemacht. Jeden Tag sind wir vom Basiscamp hin marschiert. Am Ende war die Dorfbevölkerung zwar beschämt (diese Frauen machen solche schwere Arbeit), aber sie konnten sich nicht dazu durchringen, uns zu helfen…
Der Durchbruch kam eigentlich erst vor einiger Zeit. Kely und Richard, 2 unserer Neffen (und damit auch die Neffen von Anatole, des Projekt-Direktors) gehen jetzt auch in Ambohitsara zur Schule. Ihre Mutter, Esther, wurde von ihrem Mann verlassen und lebt seitdem in Port-Berger im „Hof“ meiner Schwiegermutter. Esther erledigt für Hope die Einkäufe für die Schulkantine. Hauptberuflich arbeitet sie als Lehrerin an einer Privatschule in Port-Berger.
Dies ist eines der bemerkenswerten sozialen Netze in Madagaskar, die normalerweise auch greifen und nur in Ausnahmefällen (s. letzter Beitrag) nicht funktionieren. Esther lebt also auf dem Gelände meiner Schwiegermutter mit einigen anderen ihrer Schwestern, die auch von ihrem Ehemann verlassen wurden. Diese Frauen arbeiten (Lehrerin oder andere Tätigkeiten) in Port-Berger, sie wohnen und essen meist zusammen – aber jede hat auch ihren eigenen Bereich. Die Kinder spielen zusammen, machen gemeinsam Hausaufgaben und meine Schwiegermutter passt auf sie auf, während ihre Mütter in der Arbeit sind.
Kely und Richard haben damals (im Gegensatz zu vielen anderen) das Angebot von Hope, in den Ferien zu jobben, angenommen. So greifen sie bis jetzt ihrer Mutter finanziell unter die Arme.
Seit die Dorfbewohner das gesehen haben, schämen sie sich nicht mehr. Wenn sogar die Neffen des Projekt-Direktors das machen, ohne dass es ihnen peinlich ist, dann können sie das auch.
Jetzt haben wir in manchen Ferienzeiten schon an die 20 „Ferienjobber“. So sind die Schüler unabhängig, verdienen sich selbst ihr Schulgeld, das Geld für Schulmaterialien und sogar noch zusätzliches Geld.
Sie können sogar ihre Familie dadurch mit unterstützen. Das ist wirklich nachhaltige Hilfe zur Selbsthilfe. Diese Schüler gestalten ihre Zukunft und auch ihre Gegenwart. Man kann es sich hierzulande gar nicht vorstellen, wie viel das für diese Kinder bedeutet.