„Anderes ist nicht besser, anders ist nicht schlechter, anders ist einfach anders“…Das sagte unser Pastor bei dem Vorbereitung -Treffen für die Missionare.
Wir, in unserer europäischen Kultur, erleben die Zeit als etwas Lineares, wir leben in einem Zeitstrahl. Unser Leben besteht aus Zeit, Ziel und Ablauf. Und unsere Beziehungen zu anderen Menschen müssen sich da einfügen. Ein Beispiel: Jemand nimmt sich vor (Ziel) innerhalb eines Jahres an seiner Arbeitsstelle zum Abteilungsleiter aufzusteigen. Dafür muss er (Ablauf) viel arbeiten, oft Überstunden machen und entsprechend zielführend viel Zeit in der Arbeit verbringen. Er muss für dieses Ziel oft darauf verzichten, Zeit mit seinen Freunden und seiner Familie zu verbringen. Die Beziehungen sind also hier zweitrangig und müssen sich dem Ziel unterordnen.
In Madagaskar lebt man (vor allem auf dem Land) nicht in einem Zeitstrahl, sondern in „Zeitblasen“ und einem Beziehungsgeflecht. Zeit, Ziel und Ablauf müssen sich den Beziehungen zu anderen Menschen unterordnen. Ein Beispiel: Anatole, der Projektdirektor hat einen Termin in Port-Berger mit jemandem am Mittwoch um 15 Uhr. Er ist aber vorher beschäftigt, sich mit dem Zuständigen der Schulbehörde zu treffen und etwas zu erörtern, was die Missionsschule in Ambohitsara betrifft. Dieser kommt aber zu spät, weil er seinen Großvater vom Buschtaxi-Stand abholen soll. Die Belange der Älteren gehen in dieser Kultur immer vor. Also muss Anatole warten. Als der Behördenleiter endlich kommt, haben sie ein langes Gespräch (nicht nur dienstlich, sondern auch privat) und können sich einigen – werden sogar gute Freunde. Anatole kommt dann erst um 18 Uhr zu seiner Verabredung. Aber in seinen Augen (und den Augen seines Verabredeten) kommt er nicht zu spät. Er war ja gerade erst fertig und hat dazwischen nichts anderes gemacht. Die Beziehung zu dem Schulbehörden-Leiter war wichtiger (auch für die Zukunft). Außerdem war das die erste Tätigkeit (Zeitblase Nr. 1), die er erst beenden musste, ehe er zur nächsten Tätigkeitseinheit (Zeitblase Nr. 2) übergehen konnte.
Die 2. Besonderheit ist, dass wir Deutschen in einer Schuldkultur leben, die Madagassen aber in einer Schamkultur. Der Deutsche hat ein schlechtes Gewissen, wenn er Unrecht tut. Der Madagasse, wenn er entweder erwischt wurde oder sein Gesicht verliert (z.B. wenn ein böses Gerücht über ihn im Dorf kursiert, egal ob zu Recht oder nicht). Ein Madagasse wird in der Regel
einem höhergestellten (vor allem einem Älteren oder dem Chef) nichts abschlagen wird. Er sagt immer „Ja“ zu allem was man will, tut es dann aber anscheinend doch nicht. Ein Madagasse wird dann (wenn er immer vertröstet wird) sofort verstehen, dass das kein „ja“ war, sondern ein „elegantes nein“, bei dem keiner sein Gesicht verliert.
Das nennt sich auch „High Kontext Kultur“: es wird wenig direkt ausgesprochen, aber viel im Zusammenhang „erraten“. Bei den Deutschen wiederum haben wir eine „Low Kontext Kultur“: Fast alles wird beredet, wenig muss „erraten“ werden. Der Deutsche wird sich in einer solchen Situation „belogen“ vorkommen – einer hat ihm was versprochen und nicht gehalten. Für einen Deutschen, der aus einer Informations-Gesellschaft kommt und es gewöhnt ist, dass man ihn über alles ( auch über alle Änderungen in einem Geschehen) , das ihn betrifft, sofort informiert, ist das sehr schwierig. Da braucht es schon eine gewisse kulturelle Kompetenz von Seiten der „Ausländer“.
Auch die zeitliche Einhaltung von Zusagen spielt keine große Rolle, weil: dort auf dem Land haben die Leute nicht mal Uhren. Sie verabreden sich folgendermaßen: „beim ersten Froschruf, beim zweiten Hahnenschrei, beim Sonnenaufgang . Monatsangaben sind auch entsprechend „vage“, da sie auch keinen Kalender besitzen: es heißt also dann „nach der Regenzeit, wenn die Reisernte eingebracht wurde“….
Fortsetzung folgt…..